Die Zeit des Karossiers zwischen 1880 und 1920
Die Änderung der Zuchtrichtung ist ein prägnantes Beispiel für die Anpassung der Zucht an Marktbedürfnisse. Über den Verlauf eines Pferdemarktes im Jahr 1864 ist z.B. folgender Bericht überliefert: "Die Frequenz der hiesigen Pferdemärkte nimmt mit jedem Jahr zu. Es sind heute 515, meist herrliche Tiere aufgetrieben. Unter den vielen ausländischen Pferdehändlern sind diesmal auch einige Engländer. Der Handel geht lebhaft, namentlich in Luxuspferden, wofür auch hohe Preise gezahlt werden."
Daraus ist zu schließen, dass die Pferdezucht bei Bereitstellung der gewünschten Gebrauchspferde ein sehr einträgliches Geschäft war. Der Anteil der für den Verkauf aufgezogenen Pferde wird auf etwa 50% geschätzt. Dem entspricht auch der sehr hohe Anteil von Jungpferden (bis 3-jährig) am damaligen Pferdebestand: Von ca. 30.000 Pferden in Ostfriesland waren zwischen 40 und 50% Jungpferde.
Das neue Zuchtziel lautete damals:"Ein kräftig gebautes, edles und schweres ostfriesisches Pferd, das sowohl zur Verwendung als elegantes und gängiges Kutschpferd als auch als zugfestes Arbeitspferd sich eignet." Speziell wurde die Körkommission angewiesen "auf ein sogenanntes gutes Trittwerk, namentlich auf ein weites und kraftvolles Ausschreiten und freies Aufsetzen des Hufes auf das sorgfältigste zu sehen". Hinsichtlich der Konsolidierung auf den Karossiertyp war die Zucht in Oldenburg durch den konsequenten Einsatz von Anglo-Normannen, schwerem englischen Warmblut und hannoverschen Halbbluthengsten schon weiter fortgeschritten, sodass eine beträchtliche Anzahl von Zucht- und Gebrauchspferden in Oldenburg für die ostfriesische Zucht angekauft werden mussten. Alle ostfriesischen Hengstlinien gingen jetzt auf in Oldenburg gezogenen Vertreter der neuen Richtung zurück. Um 1910 war das Ostfriesische Pferd auf einem züchterischen Höhepunkt angelangt, da es sowohl als Arbeits- als auch Luxuspferd einsetzbar war.
Der Typ wurde damals so beschrieben: "Eine schnittige Figur, ein kräftig tiefes Gebäude mit aufgerichteter schöner Halsung und freundlichem Kopf bei einer gewissen Eleganz in der ganzen Erscheinung und solidem Fundament neben räumenden, hohen Gängen mit stechender Vorderaktion und kraftvollem Versammeln auf der Hinterhand." Eine weitere Beschreibung stammt aus dem Jahr 1911: "Die Pferde in Ostfriesland sind nicht so ausgeglichen und auch nicht ganz so schwer wie das Material in Oldenburg, sie haben aber vor diesem gewöhnlich einen Vorzug, sie sind trockener, nicht aufgeschwemmt und machen oft einen härteren, nervigeren Eindruck. Demzufolge sieht man in Ostfriesland oft auch energischere Gänge, Gänge aus der Hinterhand...
Unter den Hengsten, die man bei der großen Körung in Aurich alljährlich vorgeführt sieht, lassen sich drei Typen unterscheiden:
A) Ein Pferd, ganz ähnlich dem Oldenburger, im Typ eines noblen, schweren Karossiers mit gutem Gange und erheblichem Nerv; etwas trockener als die Mehrzahl der Oldenburger
B) Ein Pferd mit Anlehnung an den Oldenburger Typus, diesen aber meist nicht immer ausgesprochen zeigend, nicht edel, ohne viel Adel, meistens etwas gewöhnlich; aber derb, robust, gedrungen und stark. Die Hengste dieser Sorte sind vorzügliche Reproduktoren für landwirtschaftliche Gebrauchspferde.
C) Ein edles, leichteres Pferd mit vornehmen Manieren, das unter hannoverschem Einfluss steht und sich dem Hannoveraner bald mehr, bald weniger nähert. Sein Typ findet sich am ausgeprägtesten in einer Sorte eleganter Füchse. Sie sind den beiden anderen Typen gegenüber in der Minderzahl und verhältnismäßig selten.
Pferde, wie die Beschriebenen, hatten einen guten Absatz innerhalb Deutschlands und wurden in fast alle Länder Europas und nach Nord- und Südamerika exportiert. Ostfriesische Hengste verstärkten die süd-, mittel und ostdeutschen Landespferdezuchten und ostfriesische Kutschpferde fanden sich in allen Metropolen.