Rückzüchtungsprogramm ab 1983
Die Zuchtpolitik des Verbandes hannoverscher Warmblutzüchter sorgte dafür, dass die ostfriesischen Genanteile sehr rasch im verbliebenen Pferdebestand reduziert wurden: Keine Hengste mehr mit Ostfriesenblut, Stuten mit ostfriesischen Genen im Vorbuch eingetragen und nicht mit der Qualifikation als Hengstmütter. Innerhalb von 20 Jahren führte die Verdrängungszucht zum fast vollständigen Verschwinden der ursprünglichen Ostfriesen. 1985 war der reinblütige Stutenbestand auf nur eine Handvoll zuchtfähiger Tiere geschrumpft und auch Stuten der F1/F2-Generation stellten nur noch eine Minderheit in der hannoverschen Stutenpopulation der ostfriesischen Züchter dar.
Der Ostfriese als Vertreter des Schweren Warmbluts war damit als eine vom Aussterben bedrohte Haustierrasse einzustufen.
1983 fanden sich einige Liebhaber dieser Pferde, zu denen auch die Oldenburger des alten Schlags gehören, zusammen, um wenigstens einen Teil des Restbestandes an Original-Stuten in ein Rückzüchtungsprogramm einzubringen. Vom Pferdestammbuch Weser-Ems wurde ein Hengst mit 50% Hannoveraner- und 50% Ostfriesenblut gekört, der von 1983 bis 1987 jährlich 20 Bedeckungen hatte. Die zur Rückzüchtung zur Verfügung stehenden Stuten hatten aber ihrerseits überwiegend nur noch 50% Genanteile des alten Ostfriesen/Alt-Oldenburgers, sodass die geborenen Fohlen nur zum Teil die rassetypischen Merkmale zeigten.
Vor allem war der Bestand an Original-Stuten viel zu klein, um die gewünschten Eigenschaften sicher in der neu aufbauenden Population zu verankern.
Zwingend notwendig war deshalb der Einsatz von reinblütigen Hengsten, so wie sie in der damaligen DDR im Hengstdepot Moritzburg noch gehalten wurden. 1987 wurde der auf den Ostfriesenhengst "Lord" zurückgehende Junghengst "Lord II" in Sachsen gekauft, was für die Züchter des Ostfriesen einen entscheidenden Schritt nach vorne bedeutete.
Nun erinnerte man sich der anderen noch in größerem Umfang in Mitteleuropa existierenden Schweren Warmblutzuchtgebiete:
Weitere Hengste aus den funktionierenden Zuchtbeständen des Schweren Warmbluts auf ostfriesisch/oldenburgischer Grundlage wurden ab 1988 in Polen (Slaski), Dänemark (Dänischer Oldenburger) und den Niederlanden (Groninger) in das Zuchtprogramm aufgenommen.
Nach der Wiedervereinigung wurde von 1991 bis 1997 jährlich ein Hengst aus dem Sächsischen Landgestüt Moritzburg für eine ostfriesische Station gepachtet.
Das Schwere Warmblut aus Sachsen und Thüringen hatte von da an einen besonders starken Einfluss auf die neu entstehende Population des Schweren Warmbluts in Ostfriesland. Die Erhaltung dieser alten Kulturrasse in ihrem Ursprungsgebiet konnte so gesichert werden. In Anpaarung mit den verbliebenen Stuten, die überwiegend Fremdblutanteile aufweisen, werden heute die rassetypischen Eigenschaften wieder eingekreuzt.
Daneben wird durch den Zukauf von reinblütigen Stuten aus den verschiedenen Zuchtgebieten Mitteleuropas der Stutenbestand wesentlich ergänzt und verbessert. Bei der Auswahl der zugekauften Stuten und Hengste wurde darauf geachtet, dass diese Tiere besonders der historischen Beschreibung des Ostfriesen ähneln sollten, denn nicht alle Pferde in den erwähnten Zuchtgebieten zeigten durch dort herrschende andere Selektionskriterien den gewünschten, geschichtlich verbürgten Typ.
Die Züchter gründeten 1986 den "Zuchtverband für das Ostfriesische und Alt-Oldenburger Pferd e.V.", der 1988 vom Land Niedersachsen als selbständige Zuchtorganisation anerkannt wurde. Das Zuchtziel ist auch nach fast 30 Jahren noch ein schweres, kalibriges Pferd mit gutem Gangvermögen und einem außergewöhnlich ausgeglichenen Temperament. Gerade dem einmalig guten Charakter des ehemaligen Bauernpferdes wird ein besonderer Stellenwert gegeben. Der Ursprung aus bäuerlichen Zuchten hat zu einer festen Ausprägung der guten inneren Anlagen geführt. Die Anforderung an Typausprägung und Exterieur der heutigen Ostfriesen orientiert sich aber überwiegend nicht an dem Arbeitspferdemodell, sondern an der Beschreibung für das schwere aber doch elegante imposante Wagenpferd, so wie es vor Beginn der Verstärkungsperiode in den 20er Jahren existierte.
Denn nur im Bereich des Fahr- und Freizeitsports kann der Schwere Warmblüter heute noch eingesetzt werden und die Erzeugung von reinen Wirtschafts- und Arbeitspferden wird nicht mehr angestrebt. Zur Verbesserung der Gangeigenschaften und zur Förderung von Eleganz und Nerv wurden von 1995 an zwei Hengste aus den Niederlanden gezielt angepaart, die beim KWPN als "Tuigpaard" (TU) registriert sind.
Diese Pferde gründen sich ebenfalls auf Ostfriesen und Oldenburger aus der Karossierzeit und die ausgewählten Hengste sind reinblütig und ohne Hackneyeinfluß gezogen. Vor allem finden sich in ihnen die ausgestorbenen ostfriesischen Hengstlinien und sie sollen die verlorengegangenen Eigenschaften des Karossiers in die hiesige Population einbringen.